CEO-Interview mit Jörn Jahnke

Jörn Jahnke von Atlas Material Testing Technology

Wirtschaftszeitung Aktiv vom 22. Juli 2023

 

Chef-Interview: Jörn Jahnke von Atlas Material Testing Technology über die hohe Kunst, Alterungsprozesse zu beschleunigen – im weltweit größten Bewitterungslabor

Linsengericht-Altenhaßlau. Ob Handyhülle, Autolack oder Markise: Damit Materialien nicht schon nach kurzer Zeit unter freiem Himmel kaputtgehen, setzen Hersteller auf anspruchsvolle Dauertests im weltgrößten Bewitterungslabor von Atlas Material Testing Technology in Linsengericht. Wie man dort Alterungsprozesse beschleunigt, erfuhr aktiv im Gespräch mit Geschäftsführer Jörn Jahnke.

Herr Jahnke, warum packt Atlas die Sonne in den Schrank?

Man braucht eine künstliche Sonne - konkret sind das Xenonlampen, die sehr genau an das natürliche Sonnenlicht angepasst werden - um Materialien rund um die Uhr genau definierten, extremen Bedingungen auszusetzen. Nur über identische Testbedingungen bekommt man vergleichbare Ergebnisse. So lassen sich schon nach sehr kurzer Zeit Veränderungen feststellen. Lacke etwa können abblättern, Flüssigkeiten ihre Farbe verändern. Textilien verlieren Elastizität, Medikamente Wirkstoffe. Nicht zuletzt die Autohersteller wollen, dass Armaturenbrett und Sitze gleichbleibend gut aussehen und der Lack glänzt. Damit sie das garantieren können, brauchen sie unsere Prüfgeräte. Atlas ist nach ISO 17025 akkreditiert und sorgt durch regelmäßige Kalibrierung aller Gerätesensoren dafür, dass die Testergebnisse zuverlässig und reproduzierbar sind.

Wie kam die Sonne in den Schrank?

Vor gut 100 Jahren hat man nach Filmdrehs festgestellt, dass sich Materialien veränderten durch das für die Dreharbeiten notwendige grelle Licht. Die Lampen für dieses Licht kamen von Atlas. Dort entstand dann die Idee, es auch für Materialtests zu nutzen.

Wie ging das dann weiter?

Parallel zu Atlas entwickelte Heraeus in Hanau leistungsstarke Quarzlampen und später auch Xenonstrahler, die heute überwiegend für Materialtests genutzt werden. Die beiden Unternehmen waren lange die zwei größten Wettbewerber weltweit in unserer Nische, ehe Heraeus diese Sparte an Atlas verkaufte. Inzwischen haben wir ein komplettes Portfolio an Bewitterungsgeräten entwickelt, in denen unterschiedlichste Materialproben zeitgleich genau definiert den unterschiedlichsten Witterungsbedingungen ausgesetzt werden können - sieben Tage die Woche rund um die Uhr. Zudem unterhalten wir Testgelände in allen Klimazonen der Erde, in Wüsten, im Gebirge, in den Tropen und auch an der Nordseeküste, weil dort die salzige Seeluft besonders aggressiv ist. Und selbst bei der Freibewitterung können wir dank moderner Technologien die Bewitterung beschleunigen. Bis heute sind wir Technologieführer in den Bereichen Lichtechtheit und Bewitterung unter natürlichen und Laborbedingungen.

 

Wer für seine Arbeit hellstes Sonnenlicht simulieren muss, ist also bei Ihnen genau richtig?

Ja. Und falls etwas nicht in unsere Maschinen passt, wird die Anlage um das zu testende Gerät eben drumherum gebaut. In größeren Anlagen können dann schon mal 100 und mehr künstliche Sonnen verbaut sein, etwa wenn es um das Testen an einem Flugzeug geht. Selbst bei Crashtests sind wir dabei, weil Veränderungen an einer Fahrzeugkarosserie nur exakt erfasst werden können, wenn der Aufprall perfekt ausgeleuchtet ist.

Kann man das Testen von Materialien, wie sie es anbieten, erlernen oder studieren?

Wie sich Materialien, also zum Beispiel glänzender Lack, Kunststoffe, Textilien oder auch Legierungen durch den Einfluss von Sonnenlicht, Wärme und Feuchtigkeit verändern, wird in dieser Gesamtheit meines Wissens nirgendwo auf der Welt gelehrt und es gibt auch keine passenden Ausbildungsberufe. Wir bieten unseren Kunden ein umfangreiche Seminar- und Webinar-Programm an, in denen wir die Grundlagen der Bewitterung schulen und unseren Kunden die technischen Hintergründe erklären. Unser Knowhow basiert auf über 100 Jahren Erfahrung und auch wir lernen jeden Tag wieder Neues dazu.

Wir verändern uns kontinuierlich, gemeinsam mit unseren Kunden. Und sehr vieles, was neu ist am Markt, landet meist schon im Vorfeld in unseren Labors. Neue Produkte bedeuten auch neue Normen, an die wir unsere Geräte und Tests anpassen. Bestes Beispiel dafür ist die Elektronikindustrie, die heute ein wichtiges Geschäftsfeld für uns ist. Übrigens bringen wir unsere Erfahrungen seit vielen Jahren bei der Normung mit ein durch die enge Kooperation mit den nationalen und internationalen Normungsorganisationen - ganz aktuell zum Beispiel rund um das Thema E-Mobilität.

Wo sehen Sie aktuell die größte Herausforderung?

Trotz immer schwieriger Rahmenbedingungen gut am Standort hier zu bestehen, ist inzwischen eine echte Herausforderung. Der Fachkräftemangel, die hohen Stromkosten, die Sorge, dass die gewohnte und für Atlas so wichtige verlässliche Stromversorgung nicht mehr funktionieren könnte, sowie die geringe Vorhersehbarkeit so dramatischer Ereignisse wie in den letzten drei Jahren – das treibt mich schon um. Wir müssen unsere Planungen permanent immer wieder überprüfen und gegebenenfalls viel schneller als früher an die aktuellen Veränderungen anpassen. Ich bin deshalb sehr froh, dass ich hier mit einem tollen, engagierten Team arbeiten kann, das sich die gute Laune so schnell nicht verderben lässt.

Wem gehört Atlas?

Wir sind mit knapp 300 Mitarbeitern weltweit ein Teil von Ametek, einem börsennotierten US-Unternehmen mit gut 18.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von rund 6,2 Milliarden US-Dollar. Wir nutzen unter anderem die vielen Vertriebsniederlassungen des Konzerns für unser Geschäft, können aber weitgehend unabhängig arbeiten und eigene Entscheidungen treffen - solange unsere Kennzahlen wie Umsatz, Innovationskraft und Wachstum stimmen.

Warum sind Sie Mitglied bei HESSENMETALL?

Die Entscheidung, Mitglied von HESSENMETALL zu werden, traf mein Vorgänger. Und ich bin heute sehr froh, dass wir dabei sind. Neben der kompetenten rechtlichen Beratung nutzen wir oft das sehr breit aufgestellte Schulungsangebot. Hier finde ich immer wieder Themen, die für uns Bedeutung haben. Und nicht zuletzt schätze ich den Erfahrungsaustausch mit anderen Unternehmern aus der Region, denn der Verband bietet mit seinen Veranstaltungen dafür ein schönes und gutes Forum.

Interview: Maja Becker-Mohr

Fotos: Gerd Scheffler und Atlas

 

Zur Person: Jörn Jahnke

  • Geboren 1964 in Hamburg.
  • Physikstudium an der Uni Hamburg, Diplomarbeit am Helmholtz-Zentrum Hereon in Geesthacht.
  • 1989 Berufseinstieg bei Heraeus in Hanau, verschiedene Leitungspositionen, unter anderem in China.
  • Seite 2018: Geschäftsführer von Atlas Material Testing Technology in Linsengericht.

 

Kontakt

Atlas Material Testing Technology GmbH

Vogelsbergstraße 22
63589 Linsengericht-Altenhaßlau
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